03.10.2025
„Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde?“ - Gedanken zum 3. Oktober
„Wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und an wem ist der Arm des HERRN offenbart?“ (Jesaja 53,1)
Der Prophet Jesaja spricht von einer Botschaft, die so groß ist, dass man sie kaum glauben kann. Worte, die den Horizont sprengen, die über unsere Erfahrungen hinausgehen. Solche Worte klingen auch am 3. Oktober nach – dem Tag der Deutschen Einheit.
Denn wer hätte es damals, in den Jahren vor 1989, wirklich zu hoffen gewagt, dass die Mauer eines Tages fallen würde? Wer konnte glauben, dass ein in Beton gegossenes „Niemals“ sich auflösen würde? Dass Familien wieder zusammenkommen, dass Freundschaften wieder ohne Grenzen gelebt werden könnten?
Und doch geschah es. Plötzlich. Unerwartet. Wie ein Riss im dichten Nebel, der den Blick frei gibt auf ein weites Land. Menschen gingen auf die Straßen, Kerzen in den Händen, Lieder auf den Lippen – friedlich, aber entschlossen. Und was so viele Jahre unverrückbar schien, fiel in wenigen Wochen in sich zusammen. Viele haben in diesen Tagen gespürt: Hier wirkt mehr als Politik. Hier zeigt sich etwas von Gottes Arm, der stärker ist als Stacheldraht und Mauern. Etwas, das uns im Innersten staunen lässt. Am 3. Oktober 1990 wurde gefeiert – endlich vereint, endlich frei. Doch so, wie das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten nicht sofort am Ziel war, so begann auch mit der Wiedervereinigung ein neuer Weg. Ein Weg, der bis heute dauert.
Vieles ist gelungen: Straßen wurden gebaut, Städte saniert, Dörfer neu belebt. Menschen konnten sich neu begegnen, Lebenswege öffneten sich. Und doch bleibt da auch anderes: Enttäuschungen, Unterschiede, Fragen. Manche fühlen sich bis heute zurückgelassen, andere fremdeln mit dem jeweils „anderen Teil“ des Landes. Einheit ist kein einmaliger Akt, sondern ein Prozess, der Herz und Geduld braucht. Der 3. Oktober lädt uns deshalb ein, beides zu tun: zu danken und zu lernen. Danken für das, was uns geschenkt wurde – Freiheit, offene Grenzen, Begegnungen. Und lernen, dass Einheit nicht bedeutet, gleich zu sein, sondern verschieden bleiben zu dürfen und dennoch zusammenzustehen. „Gott gefällt die Vielfalt“ – so haben wir es vielleicht schon zu Erntedank bedacht. Und genau das gilt auch für unser Land: Einheit entsteht nicht, wenn alles eins wird, sondern wenn Verschiedenes nebeneinander leben kann, getragen von Respekt und Vertrauen. Jesaja erinnert uns: Gottes Handeln ist oft verborgen. Nicht immer sehen wir sofort, wo seine Kraft wirkt. Aber wo Menschen aufeinander hören, Brücken bauen und Schritte aufeinander zugehen, da wird sein Arm sichtbar – manchmal unscheinbar, aber dennoch kräftig.
So kann auch dieser 3. Oktober uns neu bewusst machen: Einheit ist Geschenk und Aufgabe zugleich. Sie geschieht nicht einmal, sondern immer wieder neu – da, wo wir uns nicht abschotten, sondern öffnen. Da, wo wir uns nicht vergleichen, sondern einander annehmen. Da, wo wir das Staunen nicht verlieren über das, was möglich wird, wenn Gott wirkt. Vielleicht ist das die größte Botschaft dieses Tages: Wunder geschehen. Manchmal mitten in der Geschichte, manchmal leise in unserem Alltag.
Und wir dürfen glauben, hoffen und mitgestalten, dass sie weiter geschehen.